
Sturm

Die Angst der Gärtnerin
Wind haben wir hier im Norden eigentlich immer. Wind ist kein Sturm, auch wenn der Wetterdienst das behauptet. An den paar windstillen Tagen setze ich mich in unsere offene Gartenlaube und es fehlt etwas.
Sturm ist, wenn der Schwengel der Hofpumpe wackelt und es in den alten Kastanienbäumen in unserer Straße dröhnt, als ob ein Güterzug vorbei donnert. Sturm ist, wenn ich ‘ne Pappe über den Aschekasten legen müsste, damit dessen Inhalt nicht den ganzen Hof verstaubt. Bei Sturm bringe ich aber erst gar keine Asche raus, denn so viele Hände hab ich nicht: Mütze festhalten, Schuppen aufmachen, Asche in den großen Eimer schütten und dann dem roten Aschestaub ausweichen. Sturm ist, wenn Schwiegervaters Holzhase im Obstgarten umfällt und der Deckel vom Briefkasten klappert, wenn unsere Katze das Haus nicht verläßt und plötzlich Nachbars Schuppendach vor unserem Haus liegt.
Und jetzt kommt Sturm!
Jetzt hört es sich schon danach an, dass der Wind bald schneller als 80 km/h wird. Der Wetterdienst spricht von Orkan. Bedeutet hier, es wird stürmisch. Also flitze ich in den Garten, um anzubinden, was geht.
Besonders schlimm ist es im Frühling oder Frühsommer. Dann stehen meist einige meiner kleinen Schätze schon im Freien und brauchen einen guten Schutz gegen kalten Regen und starken Wind. Den mögen nämlich die sensiblen Südländer Zucchini, Tomate und Melone am Kompost überhaupt nicht. Also bekommen sie Windschutzhauben aus Plastik übergestülpt, die dann noch zusätzlich mit Steinen beschwert werden. Den ursprünglich aus dem Himalaya stammenden Rhabarber stört solches Wetter allerdings nicht. Aber auch den Gurken wird es nicht gut gehen. Jede eine kleine Diva, die bei extremem Wetter gestresst ist und anschließend ungenießbar verbittert. Denen kann ich allerdings am Rankgerüst nicht helfen.
Alles was noch an Kübeln und Töpfen leicht beweglich ist, darf in die Laube oder ins Haus ziehen. Da stehen dann die Chilis, Paprika und Tomaten dicht an dicht. Die kleinen Kräuterstauden Thymian und Rosmarin bekommen einen Eimer über den Kopf und einen schicken Feldstein obendrauf. Nur der schwere Lorbeerstrauch muss draußen ausharren. Ebenso die Obstbäume, von denen ich allerdings annehme, dass sie in ihren fast 80 Jahren schon so manchen Sturm überstanden haben.
Doch auch ein Herbststurm kann böse ausgehen, wenn er zu früh im Jahr kommt, und die ersehnte Ernte vernichten.
Und, wenn alles getan ist, alle Schätze in größtmögliche Sicherheit gebracht sind, dann beginnt das Warten auf den Wind und auf den Morgen danach. Ich lausche also dem Geheule draußen und frage mich, was wohl passieren und wie lange es diesmal dauern wird. Es knackt im Haus und rauscht drum herum. Im Kamin jault der Wind. Es wird eine lange Nacht, denn schlafen kann ich ja doch nicht bei dem Lärm. Und machen auch nichts mehr. Deswegen lasse ich den Dingen einfach nur seinen Lauf…